Performance und Ritual Theater
Performance Art, wenn sie die Trennungen voraussetzt, ist tot. Sie unterscheidet sich nicht vom alten Verständnis von Bild und Skulptur. Der Performer hat sich und/oder die Performance in Szene gesetzt. Der Besucher hat im Zuschauerraum Platz genommen. Er unterscheidet sich nicht vom Besucher einer herkömmlichen Theater- oder Tanzvorführung. Was bleibt ihm übrig, als Sitzen, eventuell Stehen und Schauen? Die Trennungen, die dank Performance Art zumindest thematisiert worden sind (Bild/Betrachter, Performer/Publikum, Kunstraum/Öffentlicher Raum, Kunst/Leben) sind in vielen gegenwärtigen Beiträgen wieder eingeführt. Es wird unreflektiert auf einer ästhetischen Ebene des Visuellen oder einer theoretischen Ebene des Verbalen "performt", oder die Performance wird ins Medium Video verlegt. Diese Art der Performance bedarf dringendst der "Intervention".
Die Performance, verstanden als authentischen Akt des Anwesenden in einem gegebenen Raum bedarf keiner "Intervention". Sie muss nicht notwendigerweise vorgeführt werden. Sie ruht in sich selber. Sie bereitet ein Feld vor für authentische Akte anderer Anwesenden. Es geschehen Interaktionen. Eine "Intervention" läuft hier ins Leere. Möchte sich die Performance (Performance Art, Performance Theater, Tanz Performance) weiterentwickeln, führt sie aufgrund der eigenen Wurzeln und innerer Logik zu Performancekonzepten des Ritual Theater.
Ein leerer Raum, bezogen auf den öffentlichen Raum und allenfalls eine Situation, genügt (Performancekonzept). Die Möglichkeiten des menschlichen Körpers, das Gehen und Begehen der Räume, das Atmen genügen (Performance). Entstehende Bilder und Körperlandschaften erinnern an einen Film, warum nicht einen in Zeitlupe. Warum nicht gar das Standbild installieren? Was dann? Worte, wenn überhaupt, verlieren ihre Begrifflichkeit. Sie werden dem Stimmfluss übergeben und im Rhythmus des Atmens gesprochen. Sie wandeln sich zu Gibberish, Vokalprozessen, Vokalen bis hin zur Stille. Wohin führt diese Art von Performance? Im Ritual Theater geschieht vorzugsweise nichts mehr. Performancekonzepte des Ritual Theater schaffen dafür den Rahmen. Die PerformerIn im Ritual Theater lässt sich auf einen Prozess des Eliminierens ein.
Jede Handlung, jede Nicht-Handlung, jede Bewegung, jede Nicht-Bewegung kann letztlich als Interaktion gelesen werden. Das kann soweit gehen, dass die reine physische Anwesenheit als Interaktion bezogen auf eine Situation gelesen werden kann, genauso wie die physische Abwesenheit.
Die sich eines Ereignisses ("Performance") anschmiegende Interaktion kann nicht gegen die herausfordernde "Intervention" ausgespielt werden. Beides sind Übungstechniken aus dem experimentellen Theater. Was essentiell weiterführt, ist ein Bewegungsstop aller physisch Anwesenden. Er kann nicht erzwungen werden. Eine PerformerIn des Ritual Theater kann mithelfen, dafür das Energiefeld zu bereiten. Wenn eine Art kollektiver Wachsamkeit und Energiesättigung eingetreten ist, wird sich etwas Neues ereignen, eine Handlung, eine Bewegung, genauso und nicht anders.
Marina Abramovic: "Man muss sich auf das neue Jahrhundert vorbereiten, in welchem sich keine Objekte mehr zwischen Künstler und Publikum drängen werden, wo nur noch ein direkter Energie-Dialog bestehen wird... Ich will einfach eine Situation schaffen, in der ich zusammen mit dem Publikum präsent bin. Und in diesem Moment wird sich etwas ereignen... Grundsätzlich besteht die einzige Notwendigkeit darin, ein Feld in Raum und Zeit zu schaffen... Das ist die Hauptsache: kein Objekt, das sich dazwischen drängt." Marina Abramovic im Interview mit Thomas Mc Evilley, 6. 2. 98, Stadien der Energie: Performance-Kunst am Nullpunkt? Aus dem Buch zur Ausstellung Artist Body - Public Body, Marina Abramovic, S. 21/23, Kunstmuseum Bern, 1998)
Wenn für Marina Abramovic die Kunst des 21. Jahrhunderts eine ist, die ohne sich zwischen Künstler und Publikum schiebende Objekte auskommt, so ist das Ritual Theater die Kunst in der Mitte des 21. Jahrhunderts, weil es nicht nur ohne Objekte, sondern auch ohne die Trennung in Künstler und Publikum auskommt. "Jeder Mensch ein Künstler" - diese pointierte Aussage von Joseph Beuys ist im Ritual Theater Programm. Zugespitzter: Jeder Mensch ein "Life Performer". Oder: Die Kunst des 21. Jahrhunderts ist schon da.
(aus Anlass der 7. Internationalen Performance Konferenz in Glarus 07.-09.03.1999)